Haushalten e.V.
Heute lebt jeder zweite Mensch weltweit in einer Stadt. Die UN prognostiziert, dass es bis 2050 sogar bereits dreiviertel der Weltbevölkerung sein könnten. Urbanisierung wird damit zu einem Hauptfaktor des Wandels im 21. Jahrhundert. Das stellt uns vor das heute schon vorhandene Problem der fairen Ressourcenverteilung innerhalb des Lebensraums Stadt. Die wohl am härtesten umkämpfte Ressource der Städte ist Raum, genauer bezahlbarer Wohnraum und Räume zur Entfaltung von Ideen.
Bereits heute müssen in Deutschland immer mehr Menschen mehr als die empfohlenen 30% ihres Einkommens für die Miete aufwenden. Damit wird Miete zum Armutsrisiko und Geringverdiener werden immer weiter aus den Innenstädten verdrängt. Dadurch werden sie von einem Großteil der städtischen Infrastruktur und dem sozialen Leben abgeschnitten. Soziale und wirtschaftliche Ausgrenzung sowie räumliche Segregation sind heute unabweisbare Realität. Auf der HABITAT III Konferenz der UN im Jahr 2016 wurde deshalb die „neue urbane Agenda“ beschlossen und „Städte für alle“ als ausgesprochenes Ziel formuliert. Dies meint eine Gleichberechtigung aller BewohnerInnen, was die Nutzung der städtischen Räume angeht. Ebenso wurde anerkannt, „dass Kultur und kulturelle Vielfalt, Quellen der Bereicherung für die Menschheit sind und maßgeblich zur nachhaltigen Entwicklung von Städten, menschlichen Siedlungen und der Bürgerschaft beitragen, indem sie sie befähigen, eine aktive und einzigartige Rolle in Entwicklungsinitiativen zu spielen.“[1] Darüber hinaus solle Kultur „bei der Förderung und Umsetzung neuer nachhaltiger Konsum- und Produktionsmuster berücksichtigt werden.“[2]
[1] United Nations Conference on Housing and Sustainable Urban Development: Neue Urbane Agenda; (http://habitat3.org/wp-content/uploads/NUA-German.pdf)
[2]Ebd.
– Ein Beitrag von Sven Röder
Ein Beispiel für neue Produktionsmuster von Stadtraum bietet der Verein Haushalten e.V. aus Leipzig. Ich habe mich mit Magdalena Friedemann (Magda, Bild unten) getroffen, um mit ihr gemeinsam über die Konzepte und Entwicklung der Initiative zu sprechen.
Diese besteht seit 2004 und hat sich ursprünglich mit dem Ziel gegründet „an großen Kreuzungen, historischen Eckgebäuden und an historischen Straßen, dem Leerstand ein bisschen entgegenzuwirken und auch eine unkonventionelle Nutzung möglich zu machen“, so Magda.
Anfang der 2000er Jahre war das Stadtbild Leipzigs noch durch Leerstand und zerfallende Gebäude geprägt. Das ist heute kaum vorzustellen, wenn man durch die lebendigen Straßen flaniert, vorbei an sanierten Altbauten, Cafes, kleinen Läden und Kunsträumen. Zu dieser Entwicklung hat auch Haushalten beigetragen. Sie führten das Konzept der Wächterhäuser ein, ein Modell um leerstehende Altbauten vor dem Zerfall zu retten und in eine kreative und nicht-kommerzielle Nutzung zu überführen. Dafür gingen sie damals in Kooperation mit der Stadtverwaltung auf Eigentümer zu, denen oftmals selbst das Geld fehlte die Objekte in unattraktiver Lage zu sanieren.
So werden keine Gewinne auf Seiten der EigentümerInnen erzielt und sie müssen sich auch nichts aus dem eigenen Fleisch schneiden. „Gerade dieses Konzept des Ausbauhauses, diese niederschwellige Sanierung ermöglicht es dann auch auf lange Zeit Quadratmeterpreise festzulegen und auf lange Zeit die Leute dort planen zu lassen, wie viel sie selber dort auch reinstecken können an Material. Und dann kommt man immer noch, selbst wenn man das Material oben drauf rechnet, auf ne super günstige Miete“, sagt Magda stolz.
Daneben hat die Initiative vor einigen Jahren noch die Atelierhäuser ins Leben gerufen. Diese sind Flächen ausschließlich für die Kunst und nutzen alte Industriestandorte, die sonst kaum eine Verwendung finden würden. Sie bieten Flächen zwischen 250 und 600m² für die Präsentation von Kunst, aber auch kleinere Räume, die KünstlerInnen als Ateliers nutzen. So werden riesige Fläche die Jahrelang ungenutzt waren wieder aktiviert. „Und die Kunst, das tut erst mal niemandem weh.“
Bei all diesen Modellen kann sich prinzipiell jede/r erst einmal als NutzerIn bewerben. Auswahlkriterium kann dann, sofern vorhanden, eine präferierte Zielgruppe der Eigentümer sein. Sonst obliegt es dem Verein die BewerberInnen auszuwählen. „Im Optimalfall kennen sich dann schon Leute, die zu den Besichtigungen kommen, sodass sich von alleine Hausgemeinschaften ergeben. Das erleichtert dann den Auswahlprozess. Sonst sitzen wir auch als Verein zusammen und überlegen, wie wir da am besten entscheiden können“, erklärt Magda. Dabei schauen sie, aus welcher Motivation heraus und mit welchen handwerklichen Fähigkeiten oder Möglichkeiten die BewerberInnen an das Projekt herantreten. „Da es bei uns um Wohnen geht, um ne kreative Nutzung, ist der Background sowieso erst mal egal. Da geht’s darum, dass man nicht zwei linke Hände hat. Passt man ins kreative Nutzungskonzept? Und wenn das passt und man sich jetzt nicht schon die komplette Etage zum Feind gemacht hat bei der Vorbesichtigung vom Haus, dann hat man erst mal gute Chancen, sag ich mal. Da hat jede/r gute Chancen“.
Durch die clevere Umnutzung von Leerstand liefert Haushalten mit ihren Modellen ein gutes Beispiel, wie das Ziel der UN-Kampagne „Stadt für alle“ lokal realisiert werden kann. Hier geht es um die Gestaltung von Stadtraum nach den Wünschen und Möglichkeiten der NutzerInnen, ohne dabei eine enorme finanzielle Schwelle zu errichten. Das ist es auch, was Magda sich für die Entwicklungen von Städten wünscht: „Es ist nicht immer nötig alles tot zu sanieren. Vielleicht würde so vielen Menschen eine weniger durchsanierte Bude reichen, aber weil es der Standard geworden ist und Städte sich natürlich auch gewinnorientiert entwickeln möchten, haben Menschen garnicht mehr die Möglichkeit sich niederschwellige Räume zu gestalten. Dabei ist die Stimme der MieterInnen bzw. NutzerInnen echt interessant. Ich wünsche mir, dass vielleicht auch tatsächlich die MieterIn gefragt werden, ob es in deren Interesse ist, bevor ein riesiges Projekt entsteht oder die BewohnerInnen gefragt werden, ob das Projekt in ihren Augen in den Stadtteil passt.“
Wir danken Magda und den anderen engagierten Menschen hinter Haushalten e.V. für ihren Support!
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- Für mehr infos:http://www.haushalten.org
Text und Bilder: Sven Röder und Haushalten e.V.
Illustration und Design: Julian Kolodziey